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Dortmund, Wenzelstraße


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Unmittelbar am Hörder Marktplatz, am östlichen Rand der Hörder Fußgängerzone, befindet sich die Wenzelstraße. Sie verläuft von der Hermannstraße zum Hörder Stadtpark und zur katholischen Stiftskirche.

Mit diesem Straßennamen hat der Rat der Stadt Dortmund 1958 eine der sonderbarsten und urigsten Person der jüngeren Hörder Geschichte, Wilhelm Wenzel, geehrt.

Im Jahr 2001 schließlich hat der Verein zur Förderung der Heimatpflege Hörde die Erinnerung an Willi Wenzel zusätzlich durch ein Denkmal gestärkt, das im Vorgarten des Pfarrhauses seinen Platz gefunden hat.

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Dieser Straßenname und das Denkmal zeigen, daß eine Person, der posthum Ehre zuteil wird und die in die Geschichte eingeht, nicht zwingend ein reicher Industrieboß, ein Kaiser, König oder ein anderer Staatsmann sein muß.

Wilhelm Wenzel war ein armer Kauz, der es während seines Lebens nie zu viel Geld gebracht hat, sondern häufig sogar auf Zuwendungen angewiesen war. Er kam 1867 als Buchbinder nach Hörde. Über seine Geburt und Kindheit ist außer der Tatsache, daß er 1841 vermutlich in Unna geboren wurde, nichts bekannt. Als er 1914 in Josefshospital starb, wurde er deshalb im Totenschein als "Sohn unbekannter Eltern" bezeichnet. Wenzel hinterließ Sachvermögen (Mobiliar) im Wert von 6 Mark und 11 Pfennig, das einem Verwandten zufiel.

Als Wilhelm Wenzel 1867 nach Hörde kam, eröffnete er zunächst eine Buchbinderei, 1870 dann an der Stiftskirche einen kleinen Laden für Bücher und Schreibwaren. Es ist überliefert, daß Wenzel zusammen mit seiner Großmutter nach Hörde gezogen sein soll. Ansonsten ist nichts über Frauen in Wenzels Leben zu berichten. Er blieb unverheiratet und hinterließ auch keine Nachkommen.

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Wilhelm Wenzel war ein scheuer, zurückgezogener Mann, der niemanden an sich heranließ. Er hatte einen Buckel und maß etwa 1,50 Meter. Er machte sich aber schnell einen Namen als Hörder Original, weil er neben der Eingangstür seines Ladens eine schwarze Schiefertafel aufhing und dort mit Kreide Verse niederschrieb.

Wilhelm Wenzel über sich selbst:

Ich pflege meine Thesen
Nach eig'nem Kopf zu schreiben
Und wer sie nicht will lesen
Der lass' es eben bleiben

 
 
Vers von Wilhelm Wenzel nach seinem 70. Geburtstag:

Die Würste sind alle
Die Banknoten knapp,
Kinder, kauft mir
Doch ein Gesangbuch ab!

Was er dort, mal in Reimen und mal als Prosa, hinschrieb, waren teilweise Werbesprüche für sein Geschäft, häufig aber benutze er die Tafel, um sich der Welt mitzuteilen.

Man kann Wenzels Schiefertafel als Vorläufer der heutigen Internetseiten ansehen. Denn ohne sich um die Meinung seiner Mitmenschen zu scheren, schrieb er dort alles nieder, was er der Öffentlichkeit mitteilen wollte. Die Tafel wurde deshalb schnell im Volksmund als "Hörder Pranger" bekannt und die Bürger blieben interessiert stehen, wenn Wenzel auf seine Leiter stieg, um neues auf seine Tafel zu schreiben. Teilweise soll dies sogar täglich der Fall gewesen sein.

Selbst für Leute, die Wilhelm Wenzel wohlgesonnen waren, war der Umgang mit ihm schwierig. So ist z.B. überliefert, daß angesichts großer Schulden Wenzels der Kirchenchor eine Sammlung für ihn veranstaltete, die die stolze Summe von 20 Mark (damals viel Geld) erbrachte. Als der Leiter des Kirchenchors, Eduard Schenuit, Willi Wenzel stolz die 20 Mark überbrachte, schimpfte dieser: "Was bilden sich die Herren vom Kirchenchor wohl ein? Zwanzig Mark? Was fange ich damit an? Da liegt ein Zahlungsbefehl über 80 Mark!"

Die Bürger der Stadt Hörde wussten, wie sie mit ihrem Poeten Wenzel umzugehen hatten. Trotz seiner kauzigen Art war er recht beliebt und es war üblich, nach Festen und Feier dem meist darbenden Wilhelm Wenzel etwas von der übriggebliebenen Mahlzeit zu bringen.

  Man hat das Volk, so wie man sich's erzogen!

Ihr wissenschaftlich großen Pädagogen,
Habt ihr dies Wort wohl ernstlich schon erwogen?
Der Lebensjahre beinah siebzig zogen
An mir vorbei in der Zeiten Wogen.
Ich fand die Menschen immer sehr verlogen
Dank der verlognen Lehr der Demagogen!
Und immer sah ich, wie die Großen sogen
Die Kleinen aus nach Formen, die gebogen.
Bis der Empörung grimme Bomben flogen!
Weil man das Volk ja hat, wie man's erzogen!

 
Wie es Menschen erging, die Wilhelm Wenzel noch nicht kannten zeigt das Beispiel ein neu nach Hörde berufenen Lehrers, das der Zeitzeuge Rudolf Winterkamp (1898-1990) für das Buch "Rund um die Uhr, Ein Hörder Lesebuch" der Nachwelt erhalten hat:

Im Rahmen des Schulunterrichts stellte sich heraus, daß Wenzel zahlreichen Schülern fehlerhaft gebundene Rechenbücher verkauft hatte. Der Lehrer sammelte diese Bücher ein und schickte sie zu Wenzel mit der Aufforderung, sie gegen korrekte Bücher einzutauschen. Wilhelm Wenzel aber schickte die Bücher zurück und schrieb dem Lehrer, daß der Kauf der Bücher eine juristische Angelegenheit zwischen ihm und den Eltern der Schüler sei. Der Lehrer habe nicht das Recht, die Eltern der Schüler in juristischen Dingen zu vertreten.

Zufällig kam kurz darauf der Rektor der betreffenden Schule an Wenzels Laden vorbei und Wenzel hatte zu dem Ereignis bereits einen spöttischen Zweizeiler auf den Lippen. Der Rektor ging daraufhin unverzüglich zu seinem Lehrerkollegen und rede ihm ins Gewissen, sich bloß niemals mit Wilhelm Wenzel anzulegen, wenn er nicht von diesem zum Gespött Hördes gemacht werden wollte.

 

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Die eigenbrödlerische Art Wilhelm Wenzels und der unbeugsame Art, selbst angesehende Bürger auf seiner Schiefertafel dem Spott preiszugeben, würde man in heutiger Terminologie als "ziviler Ungehorsam" bezeichnen. Seine Verse, vor denen sogar Ratsmitglieder, Kaufleute, Ärzte und Lehrer Angst hatten, lassen ihn in einen anarchistischen, fast subversivem, Licht erscheinen und machen ihn richtig sympathisch.   :-)

Brief von Wenzel an seinen
Nachbarn, Gastwirt Schmitz:

Herrn Schmitz!

Mein lieber Nachbar, Gastwirt Schmitz!
Ich höre sehr genau und spitz!
Man schiebt - meist aus der Regel -
Bis an den Morgen Kegel,
Und fühlt nicht, daß der Nachbar dann,
Vor Lärm durchaus nicht schlafen kann.

Jetzt aber bitt' ich als Poet:
Punkt elf das Gaslicht ausgedreht
Und dann hinaus die Knaben;
Nachts soll man Ruhe haben!

Sollt' dies den Zweck verfehlen
So würd ich künftig dreister sein
Und unserem Bürgermeisterlein
Die Sache ankrakelen.

 
Nicht so recht in dieses Bild paßt aber Wenzels tiefe Frömmigkeit und seine Ererbietung gegenüber dem deutschen Kaiser Wilhelm.

Wilhelm Wenzel begann jeden Tag mit einem Gang in die Kirche. Da er in seinem Laden direkt neben der katholischen Kirche wohnte, ging er häufig in Hauspantoffeln zum Gottesdienst. Als einmal der Gottesdienst durch den Lärm eines vorbeiziehenden Kohlentransports (damals hatte die Straßen noch Kopfsteinpflaster) gestört wurde, schrieb er danach wütend auf seine Schiefertafel:

"Wenn Sie noch einmal es wagen, während des Gottesdienstes in der katholischen Kirche mit Kohlenwagentransport zu stören, wie abermals am heutigen Morgen, wird Sorge getragen werden, daß Ihnen der dieserartige Transport, ohnehin für unsere Stadt der kollosalen Rummelei wegen ungemein lästig, von oben her untersagt werde."

Dem deutschen Kaiser Wilhelm schickte Wilhelm Wenzel jedes Jahr zu dessen Geburtstag einen gereimten Geburtstagsgruß. Als er in hohem Alter sein Bedauern darüber außerte, daß er niemals eine Antwort erhalten hatte, bekam er prompt im nächsten Jahr ein Wurstpaket mit einem handgeschriebenen Dankesbrief des Kaisers. In Wirklichkeit hatte die Lehrer der benachbarten Schule den Brief verfasst und Wurst aus Kohlhaas' Metzgerei eingepackt, um Willi Wenzel seinen Wunsch zu erfüllen.

Und es gab auch eine Angelegenheit, bei der Wilhelm Wenzel nicht menschenscheu war: Der Gesellenverein. Mit den Gesellen wanderte es jeden Sonntag über die umliegenden Dörfer, die heute zu den Städten Dortmund und Schwerte gehören, und die Gesellen waren es schließlich auch, die ihm am Grab die letzte Ehre erwiesen.

Das im Jahr 2001 an der Wenzelstraße aufgestellte Denkmal für Wilhelm Wenzel wurde gestiftet von dem örtlichen Steinmetz Helmut Wüstefeld. Der Platz für das Denkmal wurde vom Pfarrer der katholischen St.Clara-Gemeinde bereitgestellt, nachdem die Stadt Dortmund sich in der Wahl eines Standorts ziemlich unkooperativ gezeigt hatte.

Auf der Vorderseite wird das Denkmal geziert vom Wenzels Vers "Doch das liebste Fleckchen / Auf der weiten Erde / Ist und bleibt mir / Mein geliebtes Hörde". Da Wenzel 1914 gestorben ist, hat er die Eingemeindung von Hörde in die Stadt Dortmund im Jahr 1928 nicht mehr miterlebt. Wer weiß, was er dazu gedichtet hätte!



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